Schlaflos ist eine Novelle, ca. 80 Seiten lang,
und auf
Amazon als E-Book erhältlich!




»Was mit mir los ist?

Ich selbst sage zumeist, dass ich schlaflos bin.

So ist es auch, ich kann nachts nicht schlafen. Aber das ist nur ein kleiner, unbedeutender Teil dessen, was mit mir geschieht, wenn die Sonne untergeht.«






01

»Was für ein herrlicher Tag!«

Madeleine kniff die Augen zusammen und spähte über die Buchenhecke. Durch die extradunklen Gläser ihrer riesigen Sonnenbrille konnte sie ihre Vermieterin erst ausmachen, als diese sich bewegte. Regine Lindemann wandte sich von den Rosenbüschen, die sie aufopferungsvoll pflegte, ab und winkte ihr zu. Madeleine hob den Arm und wedelte unbestimmt zurück.

»Ja, nicht«, antwortete sie ohne Überzeugung. Der Tag war anstrengend gewesen. Sie sehnte sich danach, endlich ihre Maske abzustreifen.

»Ich wollte es mir grade mit einem Glas Erdbeerbowle auf der Terrasse gemütlich machen. Ich habe sie heute Mittag selbst angesetzt. Hast du nicht Lust, mir Gesellschaft zu leisten?«

Madeleine unterdrückte ein Stöhnen. Es war wichtig, Regine bei Laune zu halten. Aber sie würde einfach zusammenbrechen, wenn sie nicht bald aus der Sonne kam. In dieser Hitze stundenlang unter einem durchscheinenden Sonnensegel zu sitzen war ihre Vorstellung von der Hölle!

»Das würde ich wirklich sehr gern. Aber ich hab wieder diese furchtbare Migräne. Ich werde die Rollläden runterlassen und mir einen Eisbeutel auf den Kopf packen.«

Regine gab ein mitfühlendes Geräusch von sich. Von Knitterfältchen umrahmte Augen betrachteten die jüngere Frau teilnahmsvoll.

»Du Ärmste! Immer wenn das Wetter schön ist, nicht wahr? Kein Wunder, dass du keine Farbe bekommst.«

»Ja.« Madeleine rang sich ein Lächeln ab. Sie musste sich nicht verstellen, damit es gequält aussah.

»Du arbeitest auch viel zu viel!«, warf Regine ihr vor.

»Wahrscheinlich hast du recht. Aber was soll ich machen? Ich geh dann mal rein. Einen schönen Abend. Grüß Günther von mir.«

Madeleine wartete mit dem Aufatmen, bis sie die Einfahrt durchquert hatte und die Treppe zu ihrer Souterrainwohnung erreichte. Jetzt, am späten Nachmittag, war der Schatten auf dieser Seite des Hauses tief genug, um ihr ein wenig Erleichterung zu verschaffen.

Die Einliegerwohnung in der stattlichen Villa der Lindemanns war ein Glückstreffer gewesen. In einer solch gediegenen Wohngegend würde niemand nach ihr suchen. Und die kleinen, mit einbruchhemmenden Läden versehenen Fenster der Kellerwohnung kamen ihren Bedürfnissen entgegen. Die Lindemanns vermieteten nicht, weil sie das Geld brauchten, sondern weil Regine sich nach dem Auszug ihrer beiden Kinder in dem großen Haus einsam fühlte. Der Familienanschluss war manchmal anstrengend, aber dafür hielt sich die Miete in Grenzen.

Madeleine ließ den Blick durch den gepflegten Garten schweifen. Direkt zu ihren Füßen dufteten Lavendel und Rosen um die Wette. Hinter der Rasenfläche, die flauschig wie ein Teppich aussah, ragten Scheinzypressen auf. Schade eigentlich, dass sie die sonnendurchflutete Idylle nicht genießen konnte.

Schnell stieg sie die Treppe hinunter zu ihrer Wohnungstür. Sie fischte den Schlüssel aus der Handtasche und schloss auf. Wunderbare Kühle und Dunkelheit schlugen ihr aus der Diele entgegen. Sie warf ihre Tasche auf den Schuhschrank, kickte die hochhakigen Riemchensandaletten von den Füßen und öffnete die Tür zum Wohnzimmer. Im Geiste sah sie sich bereits lang ausgestreckt auf dem Sofa liegen. Doch kaum hatte sie einen Schritt in den Raum hinein getan blieb sie beunruhigt stehen. Etwas stimmte nicht!

Die Dunkelheit war so angenehm, dass Madeleine sie zunächst nicht hinterfragt hatte. Heute Morgen, als sie ging, waren da die Läden nicht offen gewesen?
»Guten Abend, Madeleine!«
Die ruhige Baritonstimme ließ ihr beinahe das Herz stillstehen.